Fragen an Teefreunde: Dr. Peter Rohrsen

Im Januar 2014 hatte ich das Vergnügen, den Autor des Taschenbuchs „Der Tee – Anbau, Sorten, Geschichte“ in meiner Reihe „Fragen an Teefreunde“ ganz persönlich zu befragen. Freut euch auf ein höchst vergnügliches, humorvolles und nachdenkenswertes Interview mit einem gebürtigen, welterfahrenen Westfalen!

Dr. Peter Rohrsen (Foto © privat)
Dr. Peter Rohrsen, Buch-Autor und IHK TeeSommelier (Foto © privat)

The interview in English: click here.

Bitte stellen Sie sich kurz vor, Herr Dr. Rohrsen:

Ich bin 1942 im westfälischen Epe (heute Gronau) geboren, in Hannover aufgewachsen, habe in Göttingen, St. Andrews (Schottland) und München studiert, dann an der Universität Göttingen promoviert, dort 15 Jahre lang englische Kulturgeschichte erforscht und gelehrt und ein Studienreiseunternehmen mit gegründet. Anschließend habe ich 7 Jahre lang den Regionalbereich Asien bei der Carl Duisberg Gesellschaft in Köln geleitet, danach das weltweite touristische Marketing für die Stadt Köln. Nach meiner Pensionierung 2001 und der Übersiedlung nach Berlin habe ich eine Studienreise-GmbH gegründet und bis 2012 deren Geschäfte geführt, mich unter anderem 2009 in Bonn zum IHK-TeeSommelier und TeeSommelier oec. qualifiziert, Vorträge gehalten und 2013 das Taschenbuch „Der Tee“ geschrieben.

Welche Bedeutung hat Tee in Ihrem Leben? Welche Beziehung haben Sie zum Tee?

Die Abhängigkeit vom Tee fing 1963 in St. Andrews an und wird ziemlich sicher bis zum Schluss weitergehen: Zwei bis drei Liter pro Tag … wäre kaum verwunderlich, wenn in den Adern mehr Tee als Blut fließt. Keinerlei Reue – im Gegenteil: Wenn ich teemüde bin, bin ich lebensmüde. Dann bitte ab in die letzte Teekiste und „zwei Blätter und eine Knospe“ auf den Deckel.

Was ist für Sie das Besondere am Tee?

Tee war und wird nie langweilig: Nach 50 Jahren „im Tee“ habe ich oft das Gefühl, gerade angefangen zu haben und ständig Neues zu entdecken und zu probieren: wunderbar!

Wann hatten Sie den ersten Kontakt zum Tee und welcher Tee war das?

Na ja, die Teesorte weiß ich nicht mehr; Schwarztee war’s, irgend ein Earl Grey mit Kandis … Aber sie hieß Heike, war Profischauspielerin und Regisseurin unserer Studententheatertruppe. Und eine Oho-Erscheinung: gepflegte rote Mähne, haselschlank, federnder Kranich-Gang, Dior zum Sehen und Riechen. Und ich war 21, total in Heike verknallt, hatte Hamlet und 1000 Flausen im Kopf – und keine Ahnung von Tee und wenig Ahnung von sonstwas. Heikes Einladung zum Tee war ein Ritterschlag, von dem ich mich nie wieder erholt habe. Seit diesem Tag bin ich sicher, dass Tee das erotischste Getränk der Welt ist.

Was hat sich seitdem in Ihrem Verhältnis zum Tee geändert?

Viel herumgekommen in den meisten Teeländern, viel gesehen und gesprochen mit Teeproduzenten und Teehändlern und Teetrinkern in Europa und Asien, eine mittlere Bibliothek an Teebüchern angesammelt und gelesen … Aber bei aller Erfahrung und allem Wissen ist das Wichtigste am Tee geblieben: das Genießen und die Freude daran – beides wird noch gesteigert, wenn ich es teilen kann mit Menschen, die ich mag.

Was war Ihr schönstes Tee-Erlebnis?

Mein schönstes Tee-Erlebnis … war’s vielleicht gar nicht, aber ein für einen Europäer sehr denkwürdiges: Der Sikh im südindischen Singampatti-Teegarten, der sich um die Einhaltung der Steinerschen Prinzipien beim Bio-Anbau und die Kompostierbeete für den Dünger kümmert, zeigte auf einen Erdhaufen, in dem die Regenwürmer zur Auflockerung des Bodens gezüchtet werden: „In the evening, we sing mantras for them – they can do their work better then!“

Was ist Ihr Lieblings-Tee, was ist das Besondere daran und wie bereiten Sie ihn zu?

Die Frage nach dem „Lieblings-Tee“ ist ein bisschen wie die Frage an einen Vater von 20 Kindern nach seinem „Lieblings-Kind“: Nennt er eines, tut er 19 Unrecht … Aber ich liebe einen imaginären First-Flush-Gartenspaziergang in Darjeeling vor dem Teekabinett, am liebsten mit meiner Frau oder/und einem Freund dabei: Soom, Ging, Steinthal, Margaret’s Hope, Chamong – die Wahl ist immer auch Teil des Genusses, und das Ergebnis fast immer Freude.

Wann und wo trinken Sie am liebsten Tee?

Wann und wo ich am liebsten Tee trinke? Bei der Frage fällt mir die „Erste Allgemeine Verunsicherung“ ein: Das Böse ist immer und überall!

Welches ist Ihr liebstes Tee-Zubehör?

Mein liebstes Tee-Zubehör ist eine möglichst große Teekanne aus makellos sauberem, weißem Porzellan oder Glas mit einem möglichst großen Teesieb drin. Und möglichst großen, flachen Teetassen mit Henkel dazu.

Was ist Ihre Lieblings-Zutat zum Tee?

Lieblings-Zutat im Getränk: nichts außer gutem Tee und gutem Wasser. Zum Tee: selbstgebackene, noch ofenwarme Madeleines mit einem Hauch Puderzucker drüber.

Was ist Ihr Lieblingsbuch zum bzw. über Tee? Welche Musik passt für Sie zu einer schönen Teestunde?

Lesen lenkt mich ab, wenn ich Tee trinke, zumal wenn noch jemand dabei ist: deshalb meist kein Buch beim Tee. Musik ist fast immer dabei; ich entscheide aber erst, wenn ich den Tee gerochen und probiert habe und dann weiß, was passen könnte: Jarrett „KölnConcert“; Hahn oder Stadtfeld „Bach pur“; Sting „Blue Turtles“; Van Morrison „Astral Weeks (live)“; Elvis, Tom Paxton, Chieftains, Adele „21“ – da gibt’s viel Schönes …

Was ist Ihr Lieblings-Zitat zum Thema Tee?

Fernost-Teelyrik kennen Sie alle, denke ich, deshalb hier:

„What – No morning tea?“

(Anthony Cotterell, 1941: Der Journalist wurde mitten im Krieg eingezogen zur britischen Armee und beschrieb unter diesem Buchtitel frech und schonungslos alles, was ihm und Tausenden anderer Tommys gar nicht passte am Rekrutendasein. – Es war sofort ein Bestseller und ging bis 1943 in die fünfte Auflage. Vielleicht hat er Churchill inspiriert zur kolportierten Einsicht: „Für unsere Soldaten ist Tee wichtiger als Munition“ – als Tee-Junkie kann ich das herzlich nachempfinden.)

Wen würden Sie gerne einmal zum Tee einladen und welchen Tee würden Sie servieren?

Einladen zum Tee würde ich gerne bei uns zu Hause unsere Freunde Merril, Dilhan and Malik Fernando und Andrew Taylor aus Colombo und Hatton – aus Dankbarkeit für ihren wunderbaren Tee, den sie heute in alle Welt verschicken und den einer von Andrews Vorfahren vor rund 150 Jahren in Sri Lanka eingeführt hat.

Was möchten Sie sonst noch zum Thema Tee erzählen, das ich vergessen habe zu fragen?

Zu guter Letzt möchte ich diesen Gedanken noch etwas weiterführen: Ich bin der Meinung, dass wir als Teetrinker eine Mitverantwortung dafür tragen, dass guter Tee eine Zukunft hat. Der Kreislauf des Tees fängt nicht erst im Teeladen oder im Regal des Supermarkts oder im Teespeicher des Großimporteurs an: Am Anfang stehen die Erzeuger, die Teebauern, Arbeiter, Pflückerinnen, Wissenschaftler, Produktionsleiter, Verkoster und Exportkaufleute der Teeländer, die ihr Bestes geben, um Blatt-Tees in Spitzenqualität zu liefern. Die machen nur noch zwei Prozent des Weltmarktes aus und werden noch mehr aus dem Wettbewerb gedrängt durch die 98-prozentige Dominanz der Teebeutelwirtschaft. Nur wenn wir Qualitätstees schätzen lernen, diese vom Teehandel einfordern und auch bereit sind, für die Extras an Mühe und Sorgfalt zum Beispiel für die Erzeugung von gutem Bio-Tee zu zahlen, wird guter Tee eine Zukunft haben. In diesem Sinne habe ich meinen Band über Tee geschrieben und als Ziel John Lennons Friedensmotto für den Tee abgewandelt: „GIVE TEA A CHANCE!“

Vielen Dank für das unterhaltsame Interview, Herr Dr. Rohrsen!